Regionale Wirtschaft

Rügener Manufaktur eröffnet: „Wir wollen das nachhaltigste Fischstäbchen der Welt produzieren“

Gerit Herold

Herz und Hand der Leuchtfeuer Fischmanufaktur Thiessow: Lukas und Jule Bosch sowie Matthäus Marten.
© Quelle: Gerit Herold

Nach dem Ende der Fischereigenossenschaft erwacht der Hafen von Thiessow (Gemeinde Mönchgut auf Rügen) zu neuem Leben. Ein junges Team hat die „Leuchtfeuer Fischmanufaktur“ eröffnet und plant eine nachhaltige Fischerverarbeitung mit einem neuartigen Verfahren. Woraus die Rügener Fischstäbchen hergestellt werden sollen.

Thiessow. Sie haben das Leuchtfeuer im Thiessower Hafen wieder angezündet: Jule (35) und Lukas (33) Bosch sowie Matthäus Marten (33) wollen nach der Auflösung der gleichnamigen Fischereigenossenschaft das Gelände neu beleben und haben die „Leuchtfeuer Fischmanufaktur“ gegründet. Das Trio hat eine Vision: Die drei wollen Stück für Stück eine regionale und nachhaltige Fischverarbeitung etablieren, die einmal die bedeutendste an der Ostseeküste werden soll.

Im ersten Schritt haben sie ihren Fischladen täglich von 9 bis 17.30 Uhr geöffnet. Hier gibt es eingelegte Rollmöpse und Bismarckheringe, Fischbuletten, Fischbrötchen und Heringe, die Matthäus Marten im Räucherofen zu leckeren Happen verarbeitet hat. Schnell hat sich rumgesprochen, dass es im Hafen wieder Fisch gibt. Vor allem am Wochenende ist viel Betrieb. In ein paar Wochen, wenn die Gaststättenlizenz da ist, sollen abends beim Bierchen oder Glas Wein auch kleine Konzerte oder Kinoabende veranstaltet werden.

Unterfischte Arten im Fokus der Leuchtfeuer Fischmanufaktur

Was es derzeit im Laden gibt, sei noch ein Startsortiment, so Lukas Bosch. „Es ist nicht so leicht, etwas auf der Insel Verarbeitetes zu bekommen.“ Das soll sich bald ändern. In Zeiten der Fangquotentalfahrt für Dorsch und Hering und sterbender kleiner Küstenfischerei setzen er und seine Mitstreiter auf ein Umdenken, um die Branche von Grund auf neu zu gestalten. Stichwort: ökosystemfördernde Fischerei.

Ostseefische sollen in Thiessow veredelt werden

Es gehe darum, die Arten in Wert zu setzen, die bisher verschmäht oder kaum beachtet werden und deren Bestände in puncto Naturschutz als „unterfischt“ gelten, so Bosch. Ostseefische sowie Brack- und Süßwasserfische, wie Flunder, Plötz, Rotauge, Blei oder Schwarzmundgrundel, werden zu hochwertigen Lebensmitteln veredelt. Der Clou: ein völlig neues Produkt in der Art eines Fischstäbchens. „Das nachhaltigste in der Welt“, sagt Matthäus Marten. Denn die Rügener Variante wird mit einem völlig neuartigen Verfahren hergestellt. Geplanter Produktionsstart ist in einem Jahr.

Neuartiges Produktionsverfahren entwickelt

An dem Fertigungsprozess haben die Fisch-Enthusiasten zusammen mit dem Fraunhofer Institut getüftelt. Darauf gebracht habe sie der Handel, so Bosch. Es gebe eine starke Nachfrage an regionalen Produkten – auch wegen geopolitischer Krisen und Lieferkettenproblemen. Die „Leuchtfeuer Fischmanufaktur“ will ihre Produkte direkt an Kunden vor Ort, aber auch über Rügen hinaus bis nach Berlin und Hamburg vermarkten. Eine Zusammenarbeit mit gehobener Gastronomie und dem Ummanzer Fischer Henry Diedrich gibt es bereits durch ihr Projekt „Holycrab“, bei dem Amerikanische Flusskrebse aus Berliner Gewässern gefischt und zu Delikatessen verarbeitet werden. (siehe Info-Kasten).

Von der Plage zur Delikatesse

2017 stießen Jule und Lukas Bosch auf das Thema invasive Arten, wie Amerikanischer Flusskrebs, in Berlin und kamen auf die Idee, sie auf die Speisekarte zu bringen. Sie gründeten das Start-up „Holycrab“ und machten schließlich zusammen mit Koch Andreas Michelus die Plage zur Delikatesse. Das Konzept gewann 2019 den Deutschen Gastro-Gründerpreis und wurde mehrfach ausgezeichnet. Frische Krebse aus dem Tiergarten sind mittlerweile in der Spitzengastronomie angekommen. Zudem entwickelte „Holycrab“ während der Corona-Pandemie einen Fond aus der Chinesischen Wollhandkrabbe, der als „Krabbenessenz“ online und im Handel vertrieben wird.

In Thiessow haben sie das ehemalige Fischereigelände gepachtet, das sie noch kaufen wollen. Demnächst wird eine der drei 30 Jahre alten Heringsfiletiermaschinen wieder in Gang gebracht. Ab Mai wird ein Mitarbeiter eingestellt, der von der Fischereigenossenschaft kommt. Im Sommer können Besucher dann Einblicke in die kleine Manufaktur bekommen, die gläsern sein wird. „Es ist uns ganz wichtig, dass die Leute das Handwerk und die Verarbeitung vor Ort sehen“, so Bosch. Geplant sind auch Räucherkurse.

An Traditionen anknüpfen, ist wichtig

Als sie den elf Thiessower Genossenschaftsmitgliedern Anfang des Jahres ihr Vorhaben vorstellten, hätten sie zuerst skeptisch geguckt, so Matthäus Marten. Aber er habe einen Vertrauensvorschuss. Denn das „Inselkind“ hat bei Kutter- und Küstenfisch gelernt, bei den Müritzfischern gearbeitet und kennt die Fischer, die Fischereiwirtschaft und den Lebensmittelhandel bestens. Für den Fischfang seien die Fischer im Boot, für dessen Vermarktung das Trio verantwortlich ist, so Marten. Denn Fischer wollen keine Unternehmer oder Touristenführer sein, sie wollen einfach fischen.

Der Name „Leuchtfeuer“ für ihr Unternehmen sei ihnen wichtig, um an die Traditionen anzuknüpfen und sie zu wertschätzen, so Lukas Bosch. An den Ladenwänden sollen bald auch Fischer-Porträts der Fotografin Iwona Knorr hängen, von denen der Fisch bezogen wird, und in den zu Regalen umfunktionierten orangen Fischkisten thematische Bücher liegen.

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